Eine Reise zu den Ursprüngen geologischer Forschung in Nordhessen im 18. Jhd.
Die nordhessische Landschaft mit ihren Bergen und Tälern, den Flusslandschaften an Fulda, Eder und Weser erscheint uns meist als etwas Festes, Starres, Unveränderliches. Gemessen an der Lebensspanne eines Menschen und verglichen mit dem bunten Wechsel der Weltgeschichte, trifft dies auch weitestgehend zu. Gemessen am Alter der Erde ist die Lebensspanne eines Menschen, wie auch die Zeit unserer Menschheitsgeschichte, aber nur ein Wimpernschlag. Betrachtet man die Oberflächenformen der Erde dagegen über einen Zeitraum von vielen Millionen Jahren so lassen sich oft dramatische Veränderungen feststellen.
Die formenden Kräfte der Erde, im Wechselspiel zwischen innen- und außenbürtigen, haben auch in Nordhessen sehr anschauliche Spuren gezeichnet. Allein die hier vornehmlich anzutreffenden Gesteine wie Sandsteine und Basalte, ebenso die großen Sand- und Kiesablagerungen im Tal von Eder und Fulda, weisen auf eine Entstehung in unermesslichen Zeiten geologischer Vergangenheit.
In heutigen Medien gibt es ein breitgefächertes Angebot zur naturwissenschaftlichen Erklärung spektakulärer Naturereignisse, die in Form von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und den damit verbundenen Tsunamis des Öfteren die Schlagzeilen beherrschen. Meist finden diese Ereignisse in exotischen Ländern entlang des pazifischen Feuerrings statt, aber auch in europäischer Nachbarschaft wie z.B. Island, Italien, Türkei.
Kann man hier auch Parallelen zur Entstehung der nordhessischen Landschaft ziehen? So ruhig wie es derzeit scheint war es nicht immer.
Im Altertum waren in Europa nur die Vulkane im südlichen Italien bekannt. In Deutschland wurde in der Neuzeit, von den sich auf Bildungsreisen befindlichen Adeligen und Großbürgern, vielmals von Vesuv und Ätna berichtet. Das weckte die Phantasie und warf die Frage auf ob nicht auch die nordhessischen Berglandschaften vom Vulkanismus geprägt wurden.
Die Entstehung der Landschaft wurde bis in die Neuzeit hinein als ein gottgeschaffener oder mystisch beladener Schöpfungsakt dargestellt. Natürliche Ursachen zur Erklärung dieser Vorgänge wurden erst im 18. Jhd., dem Zeitalter der Aufklärung gesucht.
Die fortschreitende wissenschaftliche Durchdringung zur Erklärung der Naturereignisse wurde auch durch Forschungseinrichtungen beschleunigt. So förderten auch die Hessen-Kasseler Landgrafen wie Carl und Friedrich II, durch Berufung von Naturforschern an das Collegium Carolinum, eine wissenschaftliche Akademie, diese Vorgänge.
Neben dem damals berühmten, weitgereisten Naturforscher Georg Forster wurde auch der Kunsthistoriker Rudolf Erich Raspe an das Collegium Carolinum in Kassel berufen. Von Forster ist bisher nichts bekannt geworden, das auf eine Beschäftigung mit der ihn umgebenden Landschaft in Nordhessen schließen lässt. Von Raspe dagegen, umso mehr.
Raspes Hauptaufgabe bestand seit 1767 darin die Kunstkammer der Landgrafen mit ihren Raritäten, Antiquitäten, Medaillen und der Münzsammlung, zu betreuen. Neben seinen weitgefächerten kunsthistorischen Aufgaben befasste sich Raspe zunehmend mit der Naturgeschichte.
Raspes „oberster Chef“ Landgraf Friedrich II bestieg auf seiner Italienreise im Jahre 1777 höchstselbst den Vesuv, was sicherlich für Raspe ein zusätzlicher Grund war mit Erklärungen zum Vulkanismus dienlich zu sein. Zumal es zunehmend neue Erklärungsversuche über die Ursprünge des nordhessischen Berglandes gab, bei der auch über vulkanische Kräfte diskutiert wurde.
Hauptauslöser einer grundlegenden Debatte um das naturhistorische Denken von den Kräften die die Erde gestalten, war das große Erdbeben, das am 1. November 1755 die portugiesische Hauptstadt Lissabon vollständig zerstörte. Es führte bei Philosophen wie Kant, Voltaire und Leibniz zu großen Zweifeln an den bisherigen Denkweisen. So brach im letzten Viertel des Jahrhunderts ein wissenschaftlicher Streit aus, der eine zentrale Rolle bei der Herausbildung der modernen Geowissenschaften spielte.
Das war der Streit zwischen Neptunisten und Vulkanisten.
Neptunisten sahen im Wasser die grundlegende Gestaltungsmacht für die Oberflächenformen des festen Landes. Sie sahen im Basalt ein Sedimentgestein das nachträglich von Erdbränden gespeist, von Kohleflözen verflüssigt und umgewandelt wurde. Die Vulkanisten sahen dagegen im Basalt erstarrte Lava, aus dem Erdinneren stammend.
In Nordhessen wurden der Kasseler Hausberg, der Habichtswald, aber auch der Hohe Meißner und die in der hessischen Senke um Gudensberg gelegenen basaltischen Erhebungen, Gegenstand wissenschaftlicher Kontroverse. Auch am Heiligenberg finden wir eine gleichgelagerte Situation.
Sowohl am Heiligenberg, im Habichtswald als auch am Meißner befinden sich unter der basaltische Deckschicht Kohleflöze, was die Debatte lange Zeit als unentschiedene Kontroverse erscheinen ließ.
Einer der ersten Wissenschaftler vom Collegium Carolinum der eine Verbindung der Kräfte aus dem Inneren des Erdkerns vermutete war Rudolf Erich Raspe. Zwar gab es schon zuvor eine Reihe weiterer Gelehrter die hier eine Verbindung sahen, Raspe war aber einer der ersten die sich um Belege dieser These aus dem Kasseler Umfeld bemühten. „Seine vulkanologischen Feldforschungen führten Raspe zunächst auf den Burgberg von Felsberg, dessen Säulenbasalte er eigenhändig zeichnete.“ (Waitz S.108) Hier suchte Raspe nach Beweisen seiner Hauptthese aus dem Jahre 1774,“ dass viele unserer Niederhessischen Berge und Steinarten unmittelbare Geburten uralter verlöschter brennender Berge sind“. (Waitz ebd. S. 106)
Hauptsächlicher Gegenstand der Untersuchungen bildete der Karlsberg im Bergpark Wilhelmshöhe, früher Weissenstein genannt, mit seinen vielfältigen Gesteinsarten auf engstem Raum. Neben den Basalten kommen hier auch Tuffstein, Sande, Kalke und Meeresfossilien vor. Das Vorkommen von Meeresfossilien in dieser Lage konnte bisher keiner der Gelehrten schlüssig erklären.
Eine Erklärung fand Raspe in der Kombination von Naturkräften aus dem Erdinneren einerseits, sowie den Kräften des Wassers in Form von urzeitlichen Meeren andererseits. Durch vulkanische Kräfte wurde der zuvor bestehende Meeresarm verdrängt und angehoben.
Raspe nahm die gesamte Landschaft des Kasseler Beckens in Augenschein und erkannte so die Gemeinsamkeiten von Säulenbasalten in Felsberg, im Habichtswald und am Dörnberg. (Waitz S. 107) Auch das Vorkommen von Meeressedimenten mit Fossilieneinschlüssen ließ sich somit erklären.
„Indem Raspe sich mit Sedimentation, Erosion und Vulkanismus anhand konkreter Beobachtungen im Habichtswald und im Kasseler Becken auseinandersetzte, behandelte er- abgesehen von der Plattentektonik – bereits alle in der modernen Geologie geläufigen, für die Gestaltung der Erdoberfläche relevanten Faktoren.“ (Waitz S. 109)
In Zusammenarbeit mit dem bekannten Hofmaler Johann Heinrich Tischbein d.J. (der Jüngere) wurden das Kasseler Becken, der Felsberger Burgberg und der vulkanische Krater bei Frankenhausen zeichnerisch erfasst und zu Druckerzeugnissen verarbeitet. In den maßgeblichen zeitgenössischen Fachzeitschriften wurden Raspes wesentliche Erkenntnisse publiziert und überwiegend auch positiv besprochen. (Waitz S. 111)
Was die Entstehung der prismatischen Formen des Säulenbasaltes betrifft lag Raspe mit seiner Erklärung aber noch daneben. Er erklärte sich die Formgebung durch das Eindringen von Lava in den urzeitlichen See. Heute erklärt die Geologie die Entstehung mit dem eher langsamen Vordringen von Lava in darüberliegendes Sediment. In einer längeren Abkühlphase kommt er zur Ausbildung von 4-bis 6-seitigen Basaltsäulen.
Paradebeispiel für diese Entstehungsgeschichte ist der Felsberger Burgberg mit seinem Säulenbasalt. Auch hier durchdrang die in einem Schlot aufsteigende Lava das darüberliegende Sediment. Durch Erosion des umhüllenden Erdreichs kam es in nachgelagerten Zeiträumen zur Freilegung des Gesteins. So tritt der Säulenbasalt in unterschiedliche Richtungen weisend, wie in Bündeln geschichtet, ans Tageslicht. Heutige Geologie verweist diese Vorgänge in eine lange Zeitspanne zwischen 5 bis 25 Mio. Jahre. Der Schwerpunkt vulkanischer Aktivität lag in Nordhessen im Zeitalter des oberen Miozäns vor ca. 14 Mio. Jahren.
Warum blieb Raspe trotz dieser großartigen wissenschaftlichen Erkenntnisse bis heute nahezu unbekannt?
Raspe lebte von 1767 bis 1775 in Kassel. Als Kustos der landgräflichen Sammlungen unterstand ihm auch das Münzkabinett mit über 16 Tausend Münzen. Diese Kostbarkeiten waren in weiten Teilen noch nicht erfasst oder katalogisiert.
Der hohen Stellung am Hofe gemäß wurde Raspe auch großzügig entlohnt. Trotzdem reichte das Einkommen offenbar nicht aus. Seine Lebensführung würde man auch heute als überzogen bezeichnen. Es war schon damals stadtbekannt, dass er zunehmend in einen Schuldenstrudel geriet.
Da ergab sich eine Gelegenheit, die Diebe macht. 1773 wurden Teile der fürstlichen Sammlungen vom Kunsthaus im Ottoneum in das Palais Bellevue ausgelagert. Hier bot sich für Raspe eine Gelegenheit die Unordnung zu nutzen. Einige kostbare Münzen wurden von ihm entwendet und über Hamburger Münzhändler zu Geld gemacht um die Gläubiger zu befrieden. Raspes Finanzmisere hatte ihn zum Dieb werden lassen. Der Diebstahl flog auf, Raspe flüchtete nach England. Zwar war er hier vor Strafverfolgung sicher, sein guter Ruf aber für alle Zeiten dahin. Raspe wurde per Haftbefehl gesucht und in der Wissenschaftsgemeinschaft eine Unperson. In England arbeitete Raspe noch in diversen Anstellungen und betätigte sich auch als Schriftsteller. Mit der in englischer Sprache verfassten Publikation „Die Abenteuer des Barons von Münchhausen“ im Jahre 1785 machte er noch einmal von sich reden, eine grundlegende Rehabilitation war aber damit nicht verbunden. Rudolf Erich Raspe wurde in Deutschland weiterhin missachtet, seine Publikationen und wissenschaftlichen Verdienste blieben bis heute weitgehend unbeachtet. Raspe starb 1794 an Fleckfieber bei Killarney in Irland.
Heinz Körner
Literatur:
Linnebach, Andrea (Hrsg): Der Münchhausen-Autor Rudolf Erich Raspe, Kassel 2005
Waitz v. Eschen, Friedrich: Parkwege als Wissenswege, Kassel 2012